Nachruf auf Horst Dieter Schlosser als Begründer und Sprecher der Unwort-Jury
1991 hat der Frankfurter Germanist und Sprachwissenschaftler Horst Dieter Schlosser die sprachkritische Aktion „Unwort des Jahres“ ins Leben gerufen und mit seiner 20 Jahre andauernden Sprecherschaft das Unwort immer populärer gemacht, bis es zu einer festen Größe in der bundesdeutschen Sprachkritik geworden ist. Das erste Unwort ist dabei wohl auch einem journalistisch arbeitenden Studenten Schlossers zu verdanken, der seinen Sprachkritik lehrenden Professor nach dem Seminar beim Wort nahm und ihn dazu brachte, zu verschleierndem oder diffamierendem Sprachgebrauch in Politik, Wirtschaft und Medien öffentlich und deutlich hörbar Stellung zu beziehen.
Die Unwort-Wahl, die – von Schlosser mit der unverzichtbaren Unterstützung von Roswitha Busch bis 2001 Jahr um Jahr organisiert – in der ersten Jury von vier Sprachwissenschaftler:innen und jeweils zwei geladenen prominenten Gästen aus Kultur- und Medienbetrieb getroffen wurde, war in ihren Anfängen als sinnvolle Ergänzung zur Wahl eines „Wortes des Jahres“ geplant, das die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) bis heute jährlich auswählt, um damit auf besonders häufig genutzte oder thematisch relevante Schlüsselwörter in den bundesdeutschen Debatten hinzuweisen. Bei der Wahl des Unwortes ist jedoch immer schon die Bevölkerung beteiligt, die Vorschläge einreichen kann – damit sollte nach dem Willen Schlossers die Bereitschaft zur öffentlichen Sprachkritik und Sprachreflexion gefördert werden.
Im Stillen hatten die Mitglieder der ersten Unwort-Jury immer auch darauf gehofft, durch die Wahl eines Unworts dessen Gebrauch einzudämmen oder es ganz aus der öffentlichen Kommunikation zu verbannen. Dies ist nur teilweise gelungen – die Prominenz, die die Unwörter schon früh in der Öffentlichkeit erlangten, führte allerdings prompt auch zu politischen Beeinflussungsversuchen und bedrohlichen Unterlassungsgeboten. Schlosser und die Jury entschlossen sich daher, die Unwort-Aktion aus der GfdS herauszulösen und als institutionell unabhängige Aktion weiterzuführen. Seitdem trägt die nun seit über 30 Jahren und inzwischen von der dritten Jury in Folge betriebene Unwort-Wahl mehr zur öffentlichen Diskussion einer deutschen Sprachkultur bei als alle andere Sprachaktionen im deutschen Sprachraum.
Das Besondere an Horst Dieter Schlosser als Sprachkritiker war dabei nicht nur sein profundes sprachhistorisches Wissen – so hat er beispielsweise mehrere Monographien und Aufsätze über die Sprache im Nationalsozialismus verfasst –, sondern auch seine fröhliche Unerschrockenheit und seine kompromisslose Entschiedenheit, wenn es um die Begründungsformulierung, die folgende Presseerklärung und den politischen Konflikt ging, der aus einer Wahl folgen konnte. Daher vermissen wir ihn nicht nur als Wissenschaftler und Jury-Kollegen, sondern auch als Menschenfreund, der – immer seiner Überzeugung folgend – nicht nur den sprachlich Gedankenlosen wie den in der Sache Böswilligen die Stirn bot, sondern auch der Häme der Neidischen, der Ignoranten und Unbelehrbaren sowie nicht zuletzt der Rechtspopulisten einen breiten Rücken.
Albrecht Greule (Jury-Mitglied von 1991-2000), Nina Janich (Jury-Mitglied von 2001-2020 und Jury-Sprecherin 2011-2020) und Constanze Spieß (Jury-Mitglied und ‑Sprecherin seit 2021)
Die Grundannahme: Unwörter entstehen im Gebrauch
Sprachliche Ausdrücke werden dadurch zu Unwörtern, dass sie von Sprecher:innen entweder gedankenlos oder mit kritikwürdigen Intentionen vor allem im öffentlichen Kontext verwendet werden (siehe dazu auch die Kriterien der Aktion). Die Reflexion und Kritik des Gebrauchs von Unwörtern zielt dabei auf die Sensibilisierung für diskriminierende, stigmatisierende, euphemisierende, irreführende oder menschenunwürdige Sprachgebräuche und auf die Verantwortlichkeit der Sprecher:innen im Hinblick auf sprachliches Handeln.
Die Voraussetzung: das Interesse und die Mitwirkung der Bevölkerung
Die sprachkritische Aktion basiert auf dem Interesse und auf der Mitwirkung der Bürger:innen. Jede Person kann bis zum 31.12. eines jeden Jahres schriftlich Unwortvorschläge an die Jury einreichen (bitte mit kurzer Begründung und Quellenangaben!). Die Jury „kreiert“ also keine Unwörter, sondern wählt nach gemeinsamer Diskussion begründet aus den aktuellen Einsendungen aus.
Die Jury: ehrenamtlich und institutionell unabhängig
Die Jury besteht aus vier Sprachwissenschaftler:innen und einer Journalistin, die Sprachkritik auch außerhalb der Universität für relevant halten. Die Jury wird im jährlichen Wechsel durch ein weiteres sprachinteressiertes Mitglied aus dem Bereich des öffentlichen Kultur- und Medienbetriebes ergänzt. Sie arbeitet institutionell unabhängig; d.h. sie ist weder an einzelne Universitäten, Sprachgesellschaften/-vereine oder Verlage gebunden. Die Jurymitglieder beteiligen sich ehrenamtlich und aus Interesse und verstehen sich als Vermittler:innen öffentlichen Unbehagens an bestimmten Sprachgebrauchsweisen, nicht aber – ein häufiges Missverstehen – als „Sprachschützer:innen“.