2020ff.

2023

Der Ausdruck Remigration ist ein vom lat. Verb remigrare (deutsch ‚zurückwandern, zurückkehren‘) abgeleitetes Fremdwort. Das Wort ist in der Identitären Bewegung, in rechten Parteien sowie weiteren rechten bis rechtsextremen Gruppierungen zu einem Euphemismus für die Forderung nach Zwangsausweisung bis hin zu Massendeportationen von Menschen mit Migrationsgeschichte geworden. Die Jury kritisiert die Verwendung des Wortes, weil es 2023 als rechter Kampfbegriff, beschönigende Tarnvokabel und ein die tatsächlichen Absichten verschleiernder Aus-druck gebraucht wurde. Der aus der Migrations- und Exilforschung stammende Begriff, der verschiedene, vor allem freiwillige Formen der Rückkehr umfasst (darunter die Rückkehr jüdischer Menschen aus dem Exil nach 1945), wird bewusst ideologisch vereinnahmt und so umgedeutet, dass eine – politisch geforderte – menschenunwürdige Abschiebe- und Deportationspraxis verschleiert wird. Die Neue Rechte zielt mit dem Wortgebrauch darauf ab, kulturelle Hegemonie und ethnische Homogenität zu erlangen. Das, was mit der Verwendung des Wortes gefordert wird, verletzt freiheitliche und bürgerliche Grundrechte von Menschen mit Migrationsgeschichte. Das Eindringen und die Verbreitung des vermeintlich harmlosen und beschönigenden Ausdrucks in den allgemeinen Sprachgebrauch führt zu einer Verschiebung des migrationspolitischen Diskurses in Richtung einer Normalisierung rechtspopulistischer und rechtsextremer Positionen. Der diesjährige Gastjuror Ruprecht Polenz kommentiert die Verwendung und Wahl des Ausdrucks zum Unwort folgendermaßen: „Der harmlos daherkommende Begriff Remigration wird von den völkischen Nationalisten der AfD und der Identitären Bewegung benutzt, um ihre wahren Absichten zu verschleiern: die Deportation aller Menschen mit vermeintlich falscher Hautfarbe oder Herkunft, selbst dann, wenn sie deutsche Staatsbürger sind. Nach der Wahl zum „Unwort des Jahres“ sollte diese Täuschung mit Remigration nicht mehr so leicht gelingen.

Der Ausdruck Sozialklimbim wurde im Zuge der öffentlich-politischen Diskussionen um die Kindergrundsicherung verwendet. In sozialpolitischen Debatten steht das Wort für eine im Jahr 2023 wieder häufiger zu beobachtende klassistisch diskriminierende Rhetorik. Durch die spezifische Wortverwendung wird die Gruppe einkommens- und vermögensschwacher Personen herabgewürdigt und diffamiert, als handle es sich bei sozialen Transferleistungen, die Menschen ein Leben in Würde sichern sollen, um unnützes Beiwerk oder sinnloses Getue. Mit dem Ausdruck wird zugleich eine besonders vulnerable Gruppe – die Gruppe jener Kinder, die von Armut betroffen oder armutsgefährdet sind – stigmatisiert. Durch die Verwendung des Ausdrucks wird suggeriert, dass Bedürfnisse von Kindern in Armut wenig Bedeutung für Gesellschaft und Politik haben. Der Ausdruck reiht sich in ein Netz weiterer Unwörter ein, die dazu dienen, eine gesellschaftliche Gruppe, die kaum eine Lobby hat, zu diskreditieren: soziale Hängematte, Gratismentalität, Sozialhilfekarriere.

Heizungs-Stasi: Bei diesem Ausdruck handelt es sich um ein zusammengesetztes Wort, das den Ausdruck Heizung und das Kurzwort Stasi (= Staatssicherheit, eine Abkürzung für das Ministerium für Staatssicherheit in der DDR) verbindet. Das Wort dient der populistischen Stimmungsmache gegen Klimaschutzmaßnahmen (Gebäudeenergiegesetz GEG). Diese werden als diktatorische Repressionen dargestellt, die gegen das Wohl der Bevölkerung durchgesetzt werden. Der Ausdruck verstößt gegen das demokratische Prinzip, weil er das demokratische Gesetzgebungsverfahren verunglimpft. Zudem werden durch die Verwendung des Ausdrucks die Opfer der Staatssicherheit verhöhnt. Weitere eingereichte Wörter, die in diesen Bereich fallen und durch demokratische Prozesse in Kraft gesetzte Maßnahmen abwerten, sind: Heizhammer, Heizungshammer, Heizungsverbot, Öko-Diktatur.

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2022

Mit dem Ausdruck Klimaterroristen wird im öffentlich-politischen Diskurs pauschal Bezug auf Akteur:innen genommen, die sich für die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen und die Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens einsetzen. Der Ausdruck wurde im öffentlichen Diskurs gebraucht, um Aktivist:innen und deren Protest zu diskreditieren. Die Jury kritisiert die Verwendung des Ausdrucks, weil Klimaaktivist:innen mit Terrorist:innen gleichgesetzt und dadurch kriminalisiert und diffamiert werden. Unter Terrorismus ist das systematische Ausüben und Verbreiten von Angst und Schrecken durch radikale physische Gewalt zu verstehen. Um ihre Ziele durchzusetzen, nehmen Terrorist:innen dabei Zerstörung, Tod und Mord in Kauf. Durch die Gleichsetzung des klimaaktivistischen Protests mit Terrorismus werden gewaltlose Protestformen zivilen Ungehorsams und demokratischen Widerstands in den Kontext von Gewalt und Staatsfeindlichkeit gestellt. Mit der Verwendung des stigmatisierenden Ausdrucks Klimaterroristen verschiebt sich zudem der Fokus der Debatte von den berechtigten inhaltlichen Forderungen der Gruppe hin zum Umgang mit Protestierenden (z.B. Präventivhaft). Die Forderungen der Klimaaktivist:innen, die Klimakrise durch wirksame politische Maßnahmen zu bewältigen, treten im öffentlichen Diskurs dabei ebenso in den Hintergrund wie die globale Bedrohung durch den Klimawandel. Im Vordergrund steht stattdessen die Frage nach politischen und juristischen Handlungsmöglichkeiten gegen zivilgesellschaftliche Akteur:innen. Der Ausdruck Klimaterroristen reiht sich in ein Netz weiterer Unwörter ein, die dazu dienen, die Aktivist:innen und deren Ziele zu diffamieren und in den Kontext von Gewalt und extremer Aggression zu stellen. Zu dem Netz der weiteren Unwörter zählen Klimaterrorismus, Ökoterrorismus oder Klima-RAF.

Sozialtourismus: Der Ausdruck Sozialtourismus war bereits 2013 Unwort des Jahres. Von einigen Politiker:innen und Medien wurde damals mit der Verwendung dieses Wortes gezielt Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderung, insbesondere aus Osteuropa, gemacht. Aus aktuellem Anlass hat sich die Jury entschieden, diesen Ausdruck auf Platz 2 zu setzen. Im Jahr 2022 wurde Sozialtourismus von Friedrich Merz zur Bezeichnung von Menschen aus der Ukraine, die Zuflucht vor dem Krieg suchen, verwendet. Die Jury sieht in diesem Wortgebrauch eine Diskriminierung derjenigen Menschen, die vor dem Krieg auf der Flucht sind und in Deutschland Schutz suchen; zudem verschleiert der Ausdruck ihr prinzipielles Recht darauf. Die Perfidie des Wortgebrauchs besteht darin, dass das Grundwort Tourismus in Verdrehung der offenkundigen Tatsachen eine dem Vergnügen und der Erholung dienende freiwillige Reisetätigkeit impliziert. Das Bestimmungswort sozial reduziert die damit gemeinte Zuwanderung auf das Ziel, vom deutschen Sozialsystem profitieren zu wollen, und stellt die Flucht vor Krieg und die Suche nach Schutz in den Hintergrund.

defensive Architektur: Bei diesem Ausdruck handelt es sich um eine Übertragung aus dem Englischen (defensive/hostile urban architecture). Im Deutschen ist der Ausdruck auch unter der Alternativbezeichnung Anti-Obdachlosen-Architektur bekannt. Bei dem Wort defensive Architektur handelt es sich um eine militaristische Metapher, die verwendet wird, um eine Bauweise zu bezeichnen, die sich gegen bestimmte, wehrlose Personengruppen (zumeist Menschen ohne festen Wohnsitz) im öffentlichen Raum richtet und deren Verweilen an einem Ort als unerwünscht betrachtet. Die Jury kritisiert die irreführende euphemistische Bezeichnung einer menschenverachtenden Bauweise, die gezielt marginalisierte Gruppen aus dem öffentlichen Raum verbannen möchte.

Das persönliche Unwort des Gastes Peter Wittkamp (Autor, Gagschreiber und Werbetexter)

militärische Spezialoperation: Der Ausdruck ist eine zutiefst euphemistische Bezeichnung für einen aggressiven kriegerischen Akt, der als das enttarnt werden muss, was er ist: Propaganda, mit der der Kreml nicht nur die gesamte Welt und Deutschland belügt, sondern auch sein eigenes Land und seine Bürger:innen.

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2021

Pushback: Der Ausdruck Pushback stammt aus dem Englischen und bedeutet ‚zurückdrängen, zurückschieben‘. Im Migrationsdiskurs bezeichnet das Wort die Praxis von Europas Grenztruppen, Flüchtende an der Grenze zurückzuweisen und am Grenzübertritt zu hindern. Ganz unterschiedliche Politiker:innen, Journalist:innen und Organisationen verwendeten im Jahr 2021 den Ausdruck in Debatten zur Einwanderung über die europäischen Außengrenzen.

Sprachpolizei: Mit dem Ausdruck „Sprachpolizei“ werden Personen diffamiert, die sich u.a. für einen angemessenen, gerechteren und nicht-diskriminierenden Sprachgebrauch einsetzen, der bisher benachteiligte und ausgegrenzte Gruppen sprachlich einschließt. Die Jury bewertet ihn als irreführend, weil er suggeriert, dass es eine exekutive Instanz gäbe, die über die Einhaltung von Sprachregeln ‚wacht‘ und bei ‚Nichteinhaltung‘ Bestrafungen vorsieht oder Bestrafungen durchsetzt.

Vergleiche mit dem Nationalsozialismus: Unter den Einreichungen fanden sich zudem eine Vielzahl an Ausdrücken, die im Zuge der Corona-Demonstrationen von Impfgegner:innen verwendet werden und völlig unzulässig eine Ähnlichkeit zwischen Maßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie und der nationalsozialistischen Diktatur nahe legen. Zu nennen wären hier z.B.: Impfnazi, Ermächtigungsgesetz (für Infektionsschutzgesetz) oder der gelbe Stern mit dem Aufdruck ungeimpft. Die deplatzierte Verwendung solcher Ausdrücke führt zur Verharmlosung des Nationalsozialismus, zur Verhöhnung der Opfer der nationalsozialistischen Diktatur und in manchen Fällen zu einer Opfer-Täter-Umkehr.

Das persönliche Unwort des Gastes Harald Schumann (Journalist)

Militärschlag ist eine zutiefst euphemistische Bezeichnung für einen aggressiven kriegerischen Akt. Schon seit Jahrzehnten bedienen sich Politiker:innen und unkritische Medien dieses Ausdrucks und verschleiern damit, worum es eigentlich geht: Bombenangriffe und Artillerie- oder Raketenbeschuss auf Ziele, bei denen die Aggressoren skrupellos den Tod unschuldiger und zumeist auch unbewaffneter Opfer in Kauf nehmen. Wenn eine Regierung ihre Bomber, Drohnen, Panzer und Raketen für Angriffe auf andere Völker oder auch Widerstandsgruppen im eigenen Land einsetzt, dann handelt es sich um Krieg, nicht bloß um ein paar Schläge.

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2020


Rückführungspatenschaften & Corona-Diktatur
Das Jahr 2020 ist in bisher kaum gekannter Weise von einem einzigen Thema geprägt worden, der Corona-Pandemie. Dadurch war auch der öffentliche Diskurs lange Zeit auf dieses eine Thema konzentriert. Mit der erstmaligen Wahl eines Unwort-Paares nimmt die Jury Rücksicht darauf, dass dieses Thema in der Öffentlichkeit wie in den Unwort-Einsendungen dominierte. Sie macht aber zugleich darauf aufmerksam, dass auch in anderen Themenbereichen weiterhin inhumane und unangemessene Wörter geprägt und verwendet werden. Als Unwörter des Jahres 2020 wurden daher „Rückführungspatenschaften“ und „Corona-Diktatur“ gewählt. Mit dieser Doppelwahl will die Jury zudem erneut verdeutlichen, dass die „Unwort-Wahl“ keineswegs als Zensurversuch zu verstehen ist, wie ihr gelegentlich unterstellt wurde, sondern als Anlass zur Diskussion über den öffentlichen Sprachgebrauch und seine Folgen für das gesellschaftliche Zusammenleben.


Rückführungspatenschaften: Mit „Rückführungspatenschaften“ (41x vorgeschlagen) wurde im September 2020 von der EU-Kommission ein neuer Mechanismus der Migrationspolitik bezeichnet: Die EU-Staaten, die sich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, sollen ihrer „Solidarität“ mit den anderen Mitgliedern der EU dadurch gerecht werden, dass sie die Verantwortung für die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber übernehmen. Dies als „Rückführungspatenschaften“ zu bezeichnen, hält die Jury für zynisch und beschönigend: Der ursprünglich christlich geprägte, positive Begriff der Patenschaft steht für Verantwortungsübernahme und Unterstützung im Interesse von Hilfsbedürftigen. In der Zusammensetzung mit dem – ebenfalls beschönigend für „Abschiebung“ gebrauchten – Wort „Rückführung“ wird suggeriert, „dass Abschieben eine gute menschliche Tat“ (Zitat aus einer Einsendung) sei.

Corona-Diktatur: Das Wort „Corona-Diktatur“ (21x vorgeschlagen) wurde seit Beginn des öffentlichen Diskurses um den politischen Umgang mit der Pandemie von der selbst ernannten „Querdenker“-Bewegung und insbesondere von deren rechtsextremen Propagandisten gebraucht, um regierungspolitische Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu diskreditieren. Dass der Ausdruck auf Demonstrationen verwendet wird, die – anders als in autoritären Systemen! – ausdrücklich erlaubt sind, stellt schon in sich einen Widerspruch dar. Zudem verharmlost der Ausdruck tatsächliche Diktaturen und verhöhnt die Menschen, die sich dort gegen die Diktatoren wenden und dafür Haft und Folter bis hin zum Tod in Kauf nehmen oder fliehen müssen. Dies erscheint umso problematischer, als das Schlagwort oft von denen verwendet wird, die – wie es in einer Einsendung heißt – „ja selbst und zum Teil ganz offen auf die Abschaffung der bürgerlichen Freiheiten und der sie repräsentierenden Verfassung zielen“. Der Ausdruck macht es zudem schwieriger, berechtigte Zweifel an einzelnen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie offen und konstruktiv zu diskutieren.

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